Herrenhausmaus

De Herrnhausmaus…


Mai 2006

Leute, ich muss mich mal zu Wort melden. Lange genug habe ich mit meinen Angehörigen in Zurückgezogenheit gelebt. Aber unser Leben verläuft in letzter Zeit so turbulent, dass ich mir Luft machen muss.

Viele Jahre hat meine Familie in Saus und Braus gelebt. Ja, natürlich, im Herrenhaus. Ich sage euch, das reinste Paradies! Vom Keller bis zum Boden waren die Müllreste der letzten Bewohner verteilt. Gut, Köstlichkeiten waren nicht unbedingt dabei, aber die Vorräte hätten noch für viele Generationen gereicht. Meistens hatten wir unsere Ruhe, bis auf die verrückten Nächte, in denen sich heimlich Dorfjugend in den Räumen des Herrnhauses traf. Sie hatten immer viel Spaß, lümmelten auf alten Matratzen und hinterher war meist nichts mehr am alten Platz. Die Zigarettenstummel, die überall verstreut waren, mochte ich ja nicht so sehr. Aber jedes Mal blieben Flaschen mit recht köstlichem Inhalt zurück. Und ich gebe zu, auch kleine und große Mäuse mögen dieses wohlige Gefühl, das sich dann einstellt…

maus01Versteht ihr nun, welches Paradies uns genommen wurde? Männer mit Hacken und Schaufeln nisteten sich ein, ohne Pardon wurde alles entsorgt. Nicht die kleinsten Reste blieben zurück, sogar von manchen Wänden hackten sie noch den Putz herunter, der doch eigentlich ungenießbar ist. Aber dadurch wurden auch alte Mauern sichtbar, z.B. die Rußküche. Oh wie rochen die schwarzen Ziegel noch nach den geräucherten Speckscheiben aus alten Zeiten (natürlich nur für feine Mausenasen zu erschnuppern). Meine Ururoma wusste noch davon zu berichten, wie das Leben auf dem Rittergut gewesen ist. Aber davon erzähle ich euch ein andermal. Von ihr erfuhr ich auch, dass gleich in der Nähe die alte Brauerei sein muss. Ein Ausweichquartier vielleicht? Oder sieht es da genau so mäuseunfreundlich aus?

Hurra! Das war ein Umzug in ein neues Leben. Alles sauber und hin und wieder kuschelig warm. Mein Lieblingsplatz ist selbstverständlich der Speicher, überall Weizenschrot, ganze Körner dazwischen, gemalzt! Ein Schlaraffenland der besonderen Art. Und ab und zu ist hier richtig was los, wenn wieder Brautag angesetzt wird. Doch das ist wieder ein anderes Kapitel.

Aber wie das so ist, ein bisschen Sehnsucht nach der alten Heimat bleibt. Und so wurden wir ganz hellhörig, als wir in letzter Zeit immer wieder vom Herrenhaus reden hörten. Sanierungsbeginn? Sollen etwa wieder bessere Zeiten für dieses über 300 Jahre alte Gebäude anbrechen? Auf jeden Fall werde ich am Sonntag dorthin einen Ausflug machen!

Tschau Leute, man sieht sich vielleicht.


Januar 2012

Leute, mich gibt`s noch. Obwohl aufregende Zeiten hinter mir liegen. Ich hatte mich seinerzeit recht gut eingerichtet in der alten Rittergutsbrauerei, als mein Stammhaus, das Herrenhaus saniert wurde. Das war ja auch wie im Schlaraffenland zwischen all den köstlichen Malzkörnern. Und zwei- bis dreimal im Jahr wurde der Kessel für einen Brausud angefeuert und eine kuschlige Wärme zog durch die sonst kalten Kellermauern. Die Männer vom Verein Museumsbrauerei hatten schon tagelang Holz gefahren und geschnitten, und während des gesamten Brautages konnten wir uns an den warmen Steinen die Pfötchen wärmen.

maus02Das schönste aber war der Duft, der überall in der Luft lag, vor allem wenn die Maische abgelassen wurde. Ja ja, staunt nur, ich hab einige Fachbegriffe aufgeschnappt. Wisst ihr, was Treber ist? Das ist die raffinierteste aller Speisen für Mäusegourmets, unübertrefflich! Dabei mussten wir ordentlich aufpassen, nicht erwischt zu werden, wenn wir die übergeschwappten Kleckse beiseite schafften. Nur nicht so viel auf einmal naschen…. sonst werden die Beine zu schwer.

Also es war das reinste Mäuseparadies.

Und nun: Schluss. Aus. Vorbei. Seit fast zwei Jahren bleibt der Kessel kalt. Über Nacht war aus unserer Wellness-Oase eine Baustelle geworden, überall Dreck. Die Männer konnten nicht mehr brauen, deckten alle Gerätschaften ab und machten lange Gesichter. Die alte Harmonie im Haus war auf einmal verschwunden. Man munkelte sogar von diversen Gerichtsterminen. Schade eigentlich, denn über 400 Jahre lang, mindestens seit 1538 gehörten Rittergut und Brauerei zusammen. Nicht nur wir Mäuse hatten geglaubt, dass die alten Traditionen wieder aufgelebt waren.

maus03Also mussten wir wieder einmal unsere Siebensachen packen und auswandern. Auffallend war, dass die vielen Leute, die nach der Renovierung 2003 die Brauerei bevölkerten, sich nun immer im Herrenhausgarten treffen. Nun denn, zurück in das olle Herrenhaus. Doch welche Überraschung erwartete uns, das Gebäude war nicht wiederzuerkennen, total saniert und ein wahres Schmuckstück. Wo gibt es da noch Ecken für Herrnhausmäuse? Bis in die hintersten Winkel alles hell und sauber. Wenn nicht hinter den historischen Balken ein paar Spalten locken… Und was schnuppert meine feine Nase? Ein altbekannter Duft: die 300-jährige Räucherkammer ist freigelegt worden und wohl auch ab und an in Betrieb. Es brechen rosige Zeiten an! Ich bin zu Hause.

Tschau, man sieht sich.


August 2012

Leute, das hält keine Maus aus… Das ist der reinste Stress-Test für meine feine Mäusenase. Vor Zeiten soll es ja hier immer nur den einen Duft gegeben haben, na eben wie Landwirtschaft so riecht. Okay, in der Nähe der Räucherkammer war das natürlich anders, und auch der Kirmeskuchenduft füllte immer das ganze Haus aus. Und zum Schlachtfest und an Brotbacktagen fanden meine Vorfahren auch immer sofort den richtigen Weg zum Festschmaus.

Heute kann man sich einfach nicht mehr festlegen, ständig wechseln die Gerüche. Ja gut, maus04Geräuchertes hängt immer noch in der alten Kammer. Und was das für zarte Schinken sind! Aber dann gibt es auch gleich mal Irish Stew oder Schieböcker aus dem Erzgebirge oder hunderte von Fischsemmeln, oder ein Strauß von Wildkräutern verbreitet seine Düfte. Wildschwein am Spieß ist mein Favorit, da lasse ich den Grill und die Gulaschsuppe links liegen. Soll ich euch meine ersten Versuche mit schottischem Whisky verraten?

Na lieber nicht.

Die Vereinsmitglieder lassen sich da wirklich immer wieder etwas neues einfallen. Apropos neu … man munkelt, es gäbe bald wieder Brotbacktage am Herrenhaus. Schon seit längerem ist ein historischer Backofen geplant, den wir Mäuse sehnlichst erwarten. Es wird wohl wie so oft an der Bürokratie gelegen haben. Denn die Spendenbüchse klappert schon alleweil. Wie man hört haben sie schon fast ein Drittel der Kosten zusammen. Die Leute vom Verein wollen das wieder ganz alleine schaffen, a la bonör! Und da ich mich schon ein bisschen wie dazugehörig fühle, lege ich auch jeden gefundenen Cent dazu. Jawohl, auch kleine Beträge sind willkommen. Na jedenfalls soll noch im August der erste Spatenstich erfolgen, bin gespannt. Das könnt ihr ja dann zum Herrenhausfest am 8. und 9. September begutachten.

Tschau bis dann – man sieht sich!


Juli 2019                                                      

Leute, ich gebe es zu – ich hatte mich ein paar Jahre auf die faule Haut gelegt. Es läuft ja auch alles wie am Schnürchen. Die Feste im Herrenhaus wechseln sich nach Plan ab; das geht von der Handarbeitsmesse im Februar bis zum Pyramidenanschieben und Hutzennachmittag im Dezember. Und das bei jedem Wetter, das können sie noch nicht planen. Aber was mich so erstaunt – Gäste kommen immer in großer Zahl. Ob es regnet oder die Sommersonne niederprasselt, ob es stürmt oder schneit, der Zuspruch ist scheinbar ungebrochen. Und da können natürlich auch wir ansässigen Mäusefamilien das ganze Jahr über in Saus und Braus leben.

Nicht ganz ungefährlich ist es für uns, wenn wir über den Hof zum Holzbackofen flitzen. Aber das muss einfach sein, denn die köstlich duftenden Treberbrote  erinnern uns zu sehr an die alten Zeiten, als die Vereinsmitglieder selber Bier brauten und wir vom Treber genascht haben. Den Ofen zu bedienen muss eine ziemlich heiße Angelegenheit sein, und das über Stunden. Denn die Hitze wird gleich noch zum Kuchen backen genutzt. Das passiert genau so, wie es mir unsere Urahnin immer erzählt hat: Hefeteig und verschiedene Beläge werden im Haus vorbereitet, auf großen runden Blechen ausgerollt und belegt und bestreuselt. Und wenn dann beim Transport zum Ofen hier und da eine Streusel runterfällt, sind wir gleich zur Stelle.

Man will es kaum glauben: die Sanierung des Herrenhauses ist nun schon 10 Jahre her! Und wie ich bei den wöchentlichen Zusammenkünften des Vereins mitbekomme, macht es den Männern und Frauen immer noch großen Spaß. Dabei sind deren Aktivitäten so vielfältig. Ich zähle mal einige auf (hoffentlich vergisst mein kleines Mäusehirn nicht die Hälfte). Da sind als erstes die vielen Feste über das Jahr verteilt. Und nicht dass ihr denkt, die restlichen Wochenenden sind frei! Da gibt es jede Menge private Feiern wie Geburtstage, Hochzeit, Klassentreffen, Trauerbrot oder Feste anderer Vereine. Und immer sind ein oder zwei Vereinsmitglieder dabei. Essen und Trinken stehen dann immer reichlich bereit; es gibt einfach keine mageren Zeiten für uns!

Aber auch außerhalb des Hauses scheint der Heimatverein präsent zu sein, was wir so mitbekommen. An einem Sonntag im Juni werden die Mönchskutten übergestreift, ein paar Bierkrüge gefüllt und dann geht es zum Salzmarkt nach Lößnitz. In einem Wortgeplänkel mit dem Salzvogt wird man sich dann einig, Bier gegen wertvolles Salz zu tauschen. Das dürfte nie ein Problem sein, denn das süffige Original Vielauer Dunkel ist überall beliebt. Ein Glück, dass es extra  in Gersdorf für die Vielauer Heimatfreunde gebraut wird, selbstredend nach dem alten Rezept.

Auch sonst sind die Vereinsmitglieder oft dabei, wenn in der Gemeinde gefeiert wird. Vorher und  nachher wuseln sie durchs Haus, um alle Gerätschaften und die Gläser in die Autos zu packen. Da ist jeder mal im Einsatz, so dass ich mir die Namen kaum merken kann. Aber einer muss der Chef sein. Dessen Namen hören wir immer wieder: Micha hier, Micha da, Micha kannst du mal hierher kommen, Micha das musst du entscheiden usw. Er hat praktisch alles im Blick und trägt die meiste Verantwortung. Und dann funktioniert auch die Zusammenarbeit.

Wie gesagt, „10 Jahre Herrenhaus Vielau“! Das soll wohl das Motto des diesjährigen Herrenhausfestes sein. Es findet am 7. und 8. September statt, und im Haus, im Biergarten und im Festzelt auf dem Parkplatz wird wieder eine Menge los sein. Für uns sehr aufregend, denn da ist immer wenig Platz zum Durchhuschen…

Ich hoffe, man sieht sich!

Tschau


Juli 2020

Laaangweilig!

He Leute,

kann mir mal einer sagen, wann diese gespenstische Ruhe hier bei uns im Herrenhaus ein Ende hat? Nicht dass wir wieder in 20jährigen Tiefschlaf verfallen. Absolut nix los… man hört hin und wieder unsere kleinen hungrigen Mäusemagen knurren und draußen auf dem Hof die Einkaufswagen rasseln und die Autotüren knallen. Und wenn man neugierig durch die Ritzen lugt, erkennt man kaum jemand. Alle haben diese Tücher vor ihrem Gesicht. Komische Zeiten sind das.

Und wie gesagt, keinerlei Veranstaltung in Haus und Garten. Frühlingsfest und Kirmes mussten ausfallen, und nicht mal lustige Familienfeiern brachten Abwechslung. Doch kürzlich, ich dachte mich streift ein Kater, trafen sich die Mitglieder des Heimatvereins wieder zu ihrer wöchentlichen Zusammenkunft. Hört, hört, das könnte interessant werden. Ich nahm all meinen Mäusemut zusammen und schlich mich unter die Eckbank. Und tatsächlich wurde über die Möglichkeit gefachsimpelt, wieder ein Fest zu organisieren. Das alljährliche  Herrenhausfest kann man aber nicht in bewährter Manier durchführen. Ein abgespecktes Fest im Rahmen des Biergartens könne man sich allerdings vorstellen. Zum Glück haben sie mein erfreutes Piepsen nicht gehört, denn nun wurde hin und her diskutiert. Es ging vor allem darum, eine möglichst – ich zitiere – “Coronaverordnungskonforme Veranstaltung zu planen, bei der alle Hygieneregeln eingehalten werden können”. Da hab ich ein bisschen verdutzt geguckt, aber die Freude überwog.

Also, es geht langsam wieder los! Am Sonnabend, 12.9.20 gegen Abend und am Sonntag, 13.9.20 nachmittags treffen wir uns im Herrenhausgarten. Kulturelle Einlagen sollen wohl auch geplant sein, und Bier fließt, und der Grill wird angeworfen. Ich freu mich mäusemäßig!

Leute, man sieht sich!


De Herrnhausmaus

Gruß aus dem Herrenhaus

He Leute,

das war wohl nix, dieses verflixte Jahr 2020! Meine „Herrschaften“ vom Verein haben sich sehr selten blicken lassen, meistens um nötige Arbeiten zu verrichten. Ich habe ja gerne ein bisschen Ruhe, aber das war echt zum Gruseln! Einziger Lichtblick war das Kleine Herrenhausfest, an dem mal wieder alles zusammen kam: viele nette Leute, fetzige Musik und hundert Gerüche. Und ne Menge Krümel fielen auch ab. Jedenfalls waren alle froh, dass es einen so guten Zusammenhalt gibt, selbst in diesen verrückten Zeiten.

Sonst war kaum was los. Das Haus gehörte uns, wir kuschelten uns in die Ecken und träumten von der guten, alten Zeit… Wisst ihr noch?

Bloß gut, dass die Leute vom Heimatverein wenigstens die Schwibbögen vom Boden geholt und die große Pyramide gemeinsam aufgestellt haben. Ein wahrer Lichtblick in diesem grauen Advent. Der heimelige Schein tröstet uns über die flauen Wochen hinweg. Wisst ihr was? Da im Haus jetzt gar nichts los ist, werde ich einfach mal einen Weihnachtsgruß in die Welt hinaus schicken. Irgendwo muss doch noch ne Vorlage sein…..

Wir wünschen allen

ein gesundes und friedvolles Weihnachtsfest,

einen guten Rutsch ins Neue Jahr

und für 2021 alles erdenklich Gute

Ihr Heimatverein Herrenhaus Vielau e.V.

und die ganze Mäusefamilie